Dicke Menschen schwitzen mehr und schneller. Stimmt das? Marshmallow Mädchen hat sich schlau gemacht und beantwortet die Frage, ob vermehrtes Schwitzen durch Mehrgewicht ausgelöst wird (und warum das nicht das Problem ist, über das wir reden sollten).
Schwitzen ist ein lebenswichtiger Vorgang. Das Sekret – zu 99 Prozent aus Wasser bestehend, versetzt mit Salzen, Elektrolyten und Proteinen -, das von unseren zwei bis vier Millionen Schweißdrüsen produziert wird, verdunstet auf der Haut und kühlt so den Körper. Ohne diese körpereigene Klimanlage würden wir in kürzester Zeit überhitzen und sterben.
Schwitzen ist ein sehr individueller Vorgang. Manche Menschen schwitzen kaum, anderen läuft der Schweiß in Bächen am Körper herunter. Welche Rolle spielt dabei das Gewicht?
Schwitzen durch Übergewicht: mehr Gewicht = mehr Schweiß?
Der Körper produziert Wärme durch die Prozesse, die in seinem Inneren ablaufen. Vor allem die Muskeln und das Gehirn verbrauchen eine Menge Energie (Kalorien). Je mehr Masse ein Körper hat – je größer und/oder schwerer er also ist -, desto mehr Energie muss er aufwenden, um alles zu versorgen und in Gang zu halten. Wer mehr Gewicht hat, hat also auch einen höheren Energieumsatz und produziert mehr Wärme, die der Körper unter anderem durch Schwitzen wieder regulieren muss.
Hinzu kommt, dass ein dicker Mensch mehr Gewicht trägt. Stellt man einen schlanken und einen dicken Menschen mit gleichem Trainingszustand gegenüber, muss der Organismus des dicken Menschen mehr Energie aufwenden, um die gleichen Tätigkeiten auszuführen. Dadurch steigt die Körpertemperatur und er beginnt zu schwitzen. Auch hat das Unterhautfettgewebe eine gewisse isolierende Funktion. Fett macht es für den Körper also schwieriger, Wärme nach außen abzugeben [Link zu Omeda]. Das ist im Winter praktisch, im Sommer kann es stören.
Schwitzen Dicke mehr und schneller?
Stimmt es also, dass Dicke mehr und schneller schwitzen? Nein, das kann man so plakativ nicht sagen.
Denn der Energie- und damit Kühlbedarf des Körpers wird nicht nur durch das Gewicht bestimmt. Auch Alter, Geschlecht, Körpergröße und Muskelmasse spielen eine Rolle. Darüber hinaus beeinflussen noch weitere Faktoren das individuelle Schwitzverhalten. Dazu gehören natürlich die äußere Temperatur, das persönliche Wärmeempfinden und körperliche Aktivität, aber auch erbliche Veranlagung (Gene), Hormone (z.B. Schwangerschaft, Wechseljahre), Emotionen (z.B. Stress, Angst, Nervosität), Erkrankungen (z.B. Diabetes, Schilddrüse, Autoimmunkrankheiten, Tumore) und Medikamente (z.B. Antidepressiva, Entzündungshemmer).
Eine weitere Komponente im Schweißsystem ist der Trainingszustand. Trainierte Menschen schwitzen in der Regel weniger als untrainierte [Link zur Akademie für Sport und Gesundheit], da zur Leistungserbringung weniger metabolische (stoffwechselbedingte) Prozesse ablaufen. Und das, obwohl sie generell über mehr Muskeln verfügen, was den Energiebedarf eigentlich erhöhen müsste. Dennoch produzieren sie bei körperlicher Aktivität weniger Wärme und haben infolgedessen weniger Kühlbedarf. Trotzdem schwitzen sportliche Menschen schneller [Link zu Helpster], wohl weil der Körper darauf trainiert ist, sich schnell auf den zu erwartenden Kühlbedarf einzustellen.
Schweiß ist nicht gleich Schweiß
Wer regelmäßig körperlich aktiv ist, lehrt seine Schweißdrüsen auch, weniger Nährstoffe auszuschwitzen und die optimale Menge Verdunstungsflüssigkeit abzugeben. Die Haut wird nur leicht befeuchtet und somit optimal gekühlt – das ist eine sehr effektive Art des Schwitzens [Link zu Focus Online]. Die Schweißdrüsen untrainierter Menschen produzieren hingegen oft zu viel Schweiß, so dass sich Tropfen bilden und von der Haut abperlen.
Da Menschen mit höherem Gewicht öfter unter Bewegungsmangel leiden [Link zu Gesundheitsjournal], können sie mehr und und uneffektiver schwitzen. Aber in diesem Fall ist nicht das Gewicht an sich die Ursache, sondern die Untrainiertheit durch fehlende Bewegung. Ein sportlicher Dicker kann also weniger schwitzen als ein unsportliche Schlanker.
Darüber hinaus sollte man beim Thema „unsportliche Übergewichtige“, dem oft eine Schuldzuweisung innewohnt, auch stets die Frage anschließen, ob Menschen dick werden, weil sie zu wenig Bewegung haben, oder ob sie sich weniger bewegen, weil ihnen suggeriert wird, sie wären automatisch unsportlich, weil sie dick sind (→ Warum werden wir dick?). Erschwerend hinzu kommen oft Ausgrenzung, Body Shaming und fehlende Ausrüstung für große Konfektionsgrößen und hohes Gewicht (→ Wie ich lernte, dass Sport mit Übergewicht Spaß macht).
Schwitzen ist nicht immer „normal“
Wenn du ohne Anlass schweißgebadet oder durch nasse Hände oder ausgeprägte Schweißflecken in deinem Leben eingeschränkt bist, solltest du eine Hyperhidrose [Link zu Deutsche Apotheker Zeitung] abklären lassen. Patient_innen mit Hyperhidrose [Link zu Pharmazeutische Zeitung] bilden vermehrt Schweiß. Es gibt zwei Formen der Hyperhidrose, die unterschiedlich schwer ausgeprägt sein können.
Die primäre oder fokale Hyperhidrose tritt meist im Jugendalter erstmals auf. Hierbei schwitzt man stärker an bestimmten Stellen des Körpers: an den Händen, Füßen, unter den Achseln oder im Gesicht (→ Wirksame Mittel gegen Schwitzen im Gesicht). Diese Form der Hyperhidrose ist oft genetisch bedingt; die Schweißdrüsen spielen sozusagen verrückt.
Bei der sekundären oder generalisierten Hyperhidrose schwitzt man hingegen am ganzen Körper. Dabei ist das Schwitzen selbst nur ein Symptom, etwa für eine andere Krankheit (z.B. Grippe, Unterzuckerung, Schilddrüsenüberfunktion, Bluthochdruck) oder hormonelle Veränderungen wie in den Wechseljahren. Auch psychische Auslöser [Link zu Pharmazeutische Zeitung] können einen Rolle spielen. Beide Arten der Hyperhidrose sind behandelbar [Link zu Stark gegen Schwitzen].
Starkes Schwitzen durch Übergewicht?
Dass vermehrtes Schwitzen durch ein hohes Gewicht ausgelöst würde, wird zwar in der Populärliteratur ständig wiederholt. Taucht man allerdings in die medizinische Fachliteratur und Studienlage ein, wird „Übergewicht“ kaum mehr als Ursache für intensives Schwitzen angegeben. Auch Gewichtsabnahme gehört hier nicht zu den Therapieansätzen [Link zu Ärzteblatt], was Gewicht als einen vernachlässigbaren Faktor erscheinen lässt (→ Wie Diäten dich dick und krank machen). Es wird allerdings auch deutlich, dass die Datenlage zu Hyperhidrose recht dünn ist. Eine abschließende evidenzbasierte Aussage über den Zusammenhang zwischen Gewicht und Schweißproduktion ist also gar nicht möglich.
Dass starkes Schwitzen dennoch so oft in Verbindung mit hohem Gewicht gebracht wird, kann wohl auf Scheinkausalitäten und Weight Bias (Gewichtsdiskriminierung) zurückgeführt werden. Es ist durchaus möglich, dass ein dicker Mensch mehr schwitzt. Dies liegt allerdings zum allergrößten Teil nicht am Gewicht, sondern wird eben durch die Gene und den körperlichen sowie psychischen Zustand bestimmt.
Hinzu kommt, dass körperliche Aktivität eine Rolle bei erhöhtem Bluthochdruck spielen kann [Link zu Gesundheit durch Bewegung], der wiederum eine generalisierte Hyperhidrose auslösen kann. Wahrgenommen wird bei dicken Menschen durch die schädliche Stigmatisierung von Mehrgewicht jedoch oftmals nur ihre Körpermasse und kaum eventuelle (vom Gewicht unabhängige) Erkrankungen oder andere Ursachen für übermäßiges Schwitzen (→ Verursacht Mehrgewicht Krankheiten?).
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Ist Schwitzen durch Übergewicht unhygienisch?
Dies ist auch mit ein Grund, warum mehrgewichtigen Menschen Schwitzen besonders unangenehm ist. Zwar ist das Schwitzen ein vollkommen natürlicher Prozess, doch dicken Menschen wird oft eine Schuld an ihrem Schwitzverhalten gegeben, vor allem wenn ihre Körper – aus welchen Gründen auch immer – vermehrt Schweiß produzieren (→ Was Body Shaming bedeutet und was du dagegen tun kannst).
So kann – kann! – ein hochgewichtiger Körper durch Stoffwechselprozesse mehr Wärme und damit Schweiß produzieren. Die Ursachen für das individuelle Schwitzverhalten sind jedoch so komplex, dass es unmöglich ist, den Vorgang auf einen einzelnen Faktor runterzubrechen.
Ob vermehrtes Schwitzen durch ein hohes Gewicht ausgelöst werden kann, ist letztlich nicht der Kern der Problematik. Sie entsteht für dicke Menschen dadurch, wie ihr Schwitzen und sie im Allgemeinen wahrgenommen werden (→ Wo sind all die Dicken hin? | Übergewicht im öffentlichen Raum). „Dickes“ Schwitzen gilt nämlich eher als selbst verschuldet und unhygienisch.
Schwitzen durch Übergewicht? Nur eine weitere Abwertung dicker Menschen
Beispiel: Schwitzt ein_e schlanke_r Sportler_in, wird das als Teil seines_ihres Trainings wahrgenommen. Die Anstrengung, den Körper in Bewegung zu bringen, wird positiv konnotiert. Wenn ein_e dicke_r Sportler_in schwitzt, wird dies als Beweis seiner_ihrer selbst zu verantwortenden Unsportlichkeit genommen. Die Anstrengung, den dicken Körper in Bewegung zu bringen, wird negativ besetzt.
Auch wenn eine Hyperhidrose bei schlanken wie auch dicken Menschen enormen Leidensdruck auslöst, wird das starke Schwitzen bei einer schlanken Person eher als Krankheit identifiziert, an der die Person keine Schuld trägt. Mehrgewichtige Menschen hingegen sehen sich oftmals dem Vorwurf ausgesetzt, selbst verantwortlich für ihr Schwitzverhalten – und ihr Gewicht – zu sein.
Das ist sowohl zu undifferenziert gedacht als auch wissenschaftlich nicht haltbar. Eine solche Sichtweise trägt lediglich zur weiteren Stigmatisierung und auch Selbstabwertung dicker Menschen in der Gesellschaft bei (→ 5 Gründe, warum wir mit Body Shaming aufhören müssen).
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Titelfoto: Hans Reniers
Beitragsbild: Dylan Sauerwein
Mehrgewicht und sein Einfluss auf die körperliche und psychische Gesundheit sowie gesellschaftliche Teilhabe ist ein komplexes Thema. In einem einzigen Beitrag können diese multifaktoriellen Wechselbezüglichkeiten natürlich nicht komplett aufgedröselt werden, zumal es stetig neue Daten und Erkenntnisse gibt. Dieser Artikel erhebt also keinen Anspruch auf abschließende Klärung, sondern beschäftigt sich lediglich mit einem Teil der Materie. Um die Wissenslücke in der öffentlichen Wahrnehmung zu schließen, widmet sich Marshmallow Mädchen der gewichtsneutralen journalistisch-wissenschaftlichen Aufarbeitung von Themen rund um Mehrgewicht, Gewichtsdiskriminierung und Body Positivity mit den Fetten Fakten. Marshmallow Mädchen dient der Information und Aufklärung und ist kein Ersatz für eine individuelle medizinische Betreuung bei körperlichen oder psychischen Beschwerden. Zum Disclaimer >