Gastbeitrag von Paula, Aktivistin gegen Gewichtsdiskriminierung
Die Wellnessindustrie verspricht uns Wohlbefinden und Gesundheit – von Superfoods bis Yoga. Doch oft steckt mehr dahinter als nur ein #healthylifestyle. Erfahre, wie diese milliardenschwere Industrie Fettfeindlichkeit als „Gesundheit“ verkauft und wie du ihren versteckten Einfluss erkennst. Wenn du dich fragst, warum die Wellnessindustrie Kritik erfährt, bist du hier richtig.

Bist du auf sozialen Medien wie Instagram, Facebook oder TikTok unterwegs, ist dir die Wellnessindustrie wahrscheinlich schon begegnet. Sie verbirgt sich hinter Werbung für Nahrungsergänzungsmittel ebenso wie hinter Yogakursen von Influencer:innen oder Fitnesstrackern. Wohlbefinden und Gesundheit in allen Formen und Farben zu verkaufen und so Profit zu machen, ist ihr zentrales Anliegen.
Der Verkauf von Produkten für eine bessere Gesundheit und gesteigertes Wohlbefinden zeigt auf, dass Wellness von der Wellnessindustrie sehr individualistisch gedacht wird. Es wird davon ausgegangen, dass Gesundheit ein messbarer Wert eines Individuums ist. Noch wichtiger aber. Es wird angenommen, dass ein guter Gesundheitszustand durch individuelle Handlungen wie den Kauf von Wellnessprodukten erreicht werden könnte. Diese Überzeugungen werden als „Healthism“ bezeichnet, ein Begriff, der vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Robert Crawford etabliert wurde.
„Healthism treats individual behavior, attitudes, and emotions as the relevant symptom needing attention“ (Healthism and the Medicalization of Everyday Life, Crawford 1980)
Wie Healthism und Kapitalismus sich gegenseitig beeinflussen
Dabei hat schon Crawford darauf hingewiesen, dass dieses individualisierte Verständnis zu kurz gedacht ist. So wird einerseits nicht miteinbezogen, dass Gesundheit etwas ist, was stark durch die Umwelt des Individuums beeinflusst wird, z.B. die Luftqualität des Wohnorts. Andererseits wird außen vor gelassen, dass eine Veränderung des eigenen Gesundheitszustands nicht nur durch individuelle Handlungen möglich ist, sondern vor allem durch Veränderungen auf institutioneller Ebene. Auch lässt sich an dieser Individualisierung die kapitalistische Prägung westlicher Gesellschaften wie der deutschen erkennen. Nur durch den Kapitalismus war es möglich, Gesundheit in einem Ausmaß zu einem Produkt werden zu lassen, wie es durch die Wellnessindustrie passiert (→ Wie der Kapitalismus deinen Körper kaputt macht).
Kapitalismus und Individualismus erzeugen per se Ungerechtigkeiten, da durch die ungerechte Verteilung von Ressourcen eben nicht jede Person die gleichen Startvoraussetzungen hat und so unterschiedliche Chancen bestehen, das gleiche Ziel zu erreichen (→ Wie privilegiert bist du?). Dieser Zustand zeigt sich in Rassismus, Sexismus wie auch im Ableismus. Häufig interagieren die Auswirkungen dieser Diskriminierungsformen auch miteinander, wenn jemand zum Beispiel aufgrund seiner Hautfarbe nur in schlechter bezahlten Jobs angenommen wird, die häufig viel physische Arbeit erfordern. Diese körperlich geprägte Arbeit resultiert dann häufiger in (körperlichen) Behinderungen, was wiederum zu Armut führen kann, da kapitalistische Regierungen behinderte Menschen meist nicht ausreichend unterstützen. Daran lässt sich auch wieder deutlich erkennen, dass Gesundheit keine individuelle Angelegenheit ist (→ Du bist genug (und warum du das nicht glauben kannst)).
Gesundheit und Gewicht: Eine moralische Bewertung
Auch ein hohes Körpergewicht wird in westlichen Gesellschaften als etwas Krankhaftes eingeordnet und mit medizinischen Begriffen wie „Adipositas“ belegt. Wieso dieser Begriff, aber auch Worte wie „Übergewicht“ oder „pummelig“ in diesen und anderen Beiträgen nicht verwendet wird, kannst du hier nachlesen: → Warum „dick“ kein Schimpfwort ist. Dieser Zusammenhang ist wissenschaftlich inzwischen stark umstritten (→ Risikofaktor Übergewicht? Macht Mehrgewicht krank?). Trotzdem wird, ganz der Logik des Healthism folgend, davon ausgegangen, dass ein hohes Körpergewicht selbstverschuldet ist und alle dicken Personen stets versuchen sollten abzunehmen.
Ein Aspekt des Healthism, der hier besonders deutlich wird, ist nicht nur die Idee, dass Gesundheit vor allem durch individuelle Handlungen bestimmt wird, sondern, dass es auch die Pflicht jeder einzelnen Person ist, an der eigenen Gesundheit zu arbeiten. So wird ein guter Gesundheitszustand zur moralischen Pflicht und alle, die diesem Ideal nicht entsprechen, werden moralisch abgewertet (→ Was ist Diätkultur? – Eine Definition). In Bezug auf dicke Menschen ist das zum Beispiel daran erkennbar, dass diese häufig als „stur“ und „faul“ bezeichnet werden; Eigenschaften, die moralische Implikationen mit sich bringen.
Wird also ein hohes Körpergewicht als Krankheit eingeordnet und Krankheit wiederum als etwas Selbstverschuldetes bewertet, öffnet das die Tür für die Diskriminierung von dicken Personen (→ Was, wenn ich aus gesundheitlichen Gründen abnehmen muss?). Eine Diskriminierung von Menschen auf Basis ihres Körpergewichts wird als Fettfeindlichkeit oder Gewichtsdiskriminierung bezeichnet. Diese ist weit verbreitet und wird von Betroffenen in Form von Anfeindungen auf offener Straße bis hin zur Verweigerung der Behandlung durch medizinisches Personal erlebt (→ Übergewicht im öffentlichen Raum: Wo sind all die Dicken hin?).
Wie die Wellnessindustrie den Wunsch nach einer Gewichtsabnahme ausnutzt
Damit sind dicke Menschen auch besonders empfänglich für Werbung der Wellnessindustrie, die ihnen verspricht, die eigene Gesundheit verbessern zu können, ohne sich mit diskriminierenden Äußerungen von Ärzt:innen herumschlagen zu müssen(→ Der Zaubersatz, mit dem Ärzt:innen dich endlich angemessen behandeln). Allzu häufig versteckt sich hinter diesen Versprechen für mehr Gesundheit aber auch ein Versprechen für Schlankheit, da Gesundheit und ein schlanker Körper synonym gedacht werden. Besonders deutlich wird das bei Wellnessinfluencer:innen, die ihre „wellness journey“ dokumentieren und Produkte verkaufen, die ihnen angeblich bei ihrer eigenen Reise zu einem besseren Wohlbefinden geholfen haben. Mir geht es dabei nicht darum, alle Influencer:innen über einen Kamm zu scheren oder des Lügens zu bezichtigen. Es zeigt sich aber auch hier wieder, dass Profit mit individualisierten Gesundheitslösungen gemacht wird und davon ausgegangen wird, dass gesund sein gleichzeitig schlank sein bedeutet (→ Warum wir das Schönheitsideal überwinden müssen).
So entsprechen auch viele, vor allem viele der bekanntesten Wellnessinfluencer:innen dem westlichen Ideal eines weißen, schlanken, nicht-behinderten, geschlechtskonformen Körpers. Durch die Autoritätsposition, die viele Influencer:innen durch ihre Follower:innen erlangen, ist naheliegend, dass Wellnessinfluencer:innen damit auch ein Ideal verkaufen. Sie vermitteln, dass du genauso wie sie sein und aussehen kannst, wenn du nur ihren Tipps folgst und die richtigen Produkte der Wellnessindustrie kaufst (→ Breaking News: Frau nimmt ab). Hier zeigen sich die Gefahren der Wellnessindustrie.
Besonders auf Plattformen wie Instagram, die als visuelles Medium funktionieren, wird so ein bestimmtes Bild von Gesundheit erzeugt. Wenn alle Influencer:innen, die ihre Wellnessreise teilen, weiß und schlank sind, kann ja nur der Eindruck entstehen, dass Gesundheit eben nur so aussehen kann.
„(…) the aesthetic norms that prevail here – slim, toned, ‚glowing‘ – but also the industry’s racialised exclusions.“ (By, for, with women, O’Neill 2024)
Wie du dich gegen die Messages der Wellnessindustrie wehren kannst
Tatsächlich hat Gesundheit aber kein Aussehen, es gibt nicht den einen „Look“, der garantiert, dass jemand gesund ist. Dein Körper und dein Gesundheitszustand sind keine Repräsentation deiner ganzen Person und schon gar nicht deiner Moral. Auch ist es eine Illusion zu denken, alle könnten einfach so gesund sein, wenn sie sich nur genug anstrengen würden. Allein schon die starke Individualisierung, verursacht durch den Kapitalismus und die Diskriminierungsformen, die damit einhergehen, machen das unmöglich (→ Können Dicke so gesund sein wie Schlanke?).
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Wenn Wellnessinfluencer:innen auf Instagram also dafür werben, ihre Produkte zu kaufen, damit du das gleiche Level an Gesundheit erreichen kannst wie sie, verkaufen sie dir meistens gleichzeitig das Versprechen von Schlankheit und dass du endlich frei sein kannst von der moralischen Bewertung deines Körpers und deiner Gesundheit (→ Woran du eine Diät erkennst). Das ist aber nicht die Realität. Dicksein bedeutet nicht automatisch ungesund sein. Aber am allerwichtigsten: Niemand hat die Pflicht, gesund zu sein, und muss Abwertungen ertragen, weil andere Leute der Meinung sind, sie könnten die Gesundheit einer fremden Person einschätzen und müssten diese bewerten (→ Meine Gesundheit geht dich einen Scheißdreck an!). Diese verbreiteten Gesundheitsmythen können schädlich sein.
P.S.: Da ich nach dem Prinzip der Körperautonomie denke, steht es dir selbstverständlich auch frei, so viele Vitamine zu nehmen wie du willst und so viel zu- und abzunehmen, wie du lustig bist. Your body, your choice!

Paula ist Aktivistin im Bereich Gewichtsdiskriminierung und hat ihre Masterarbeit im Fach Geschlechterforschung zum Thema Fettfeindlichkeit der Wellnessindustrie auf Instagram geschrieben.
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Titelfoto: Abigail Clarke
Foto von Nanée: Elena Zaucke Photography