Vor ein paar Jahren fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich mag meine Klamotten nicht. Ich mag diese versteckende Kleidung für Dicke nicht. Hier folgt nun also die Geschichte, wie ich meinen kompletten Kleiderschrank ausräumte und einen vollkommen neuen Stil fand.
Sich zu verändern kostet Mut. Bevor man diesen Schritt wagen kann, muss man aber erst einmal wissen, was man ändern möchte. Eine Veränderung ist immer ein multifaktorielles Geschehen. Es gab nicht den einen Punkt, an dem sich alles geändert hat, wohl aber gab es eine Situation, die den Schalter umgelegt hat. Zuvor sind aber eine Menge Dinge passiert, die mich quasi auf dieses Aha-Erlebnis vorbereitet haben.
Ich habe mich gehasst
Ich mochte meinen Körper nicht. Ich habe mich und meinen Körper gehasst.
Es ist jetzt ungefähr fünfzehn Jahre her, dass ich meine Reise zu einem positiven Körpergefühl angetreten habe. Damals war mir das nicht bewusst und auch der Begriff Body Positivity (→ Was ist Body Positivity?) war noch nicht geboren.
Zu dieser Zeit ging es mir sehr schlecht. Ich litt unter Binge Eating (was ich damals nicht wusste) und hatte viel zugenommen, war unglücklich in der Uni, weil ich keinen Anschluss, keine Menschen wie mich fand. Ich hasste mich selbst und redete grausam mit mir, wenn ich zufällig einen Blick auf mein Spiegelbild in einem Schaufenster erhaschte. Das Ganze wurde so schlimm, dass ich Probleme bekam, überhaupt vor die Tür zu gehen, geschweige denn mit Menschen zu reden. (→ Wo sind all die Dicken hin? | Übergewicht im öffentlichen Raum)
Aus irgendeinem schicksalhaften Grund hatte ich damals brieflichen Kontakt mit einer alten Schulfreundin, der ich mein Leid klagte. Sie machte zu der Zeit eine Ausbildung zur Physiotherapeutin in Süddeutschland. Teil ihrer Ausbildung waren auch psychotherapeutische Ansätze. Und sie war es letztlich, die mir riet, eine Psychologin aufzusuchen.
Psychologen sind für Verrückte
Oh je, Psychologen sind doch nur für Verrückte, dachte ich. Aber mein Leidensdruck war so groß, dass ich es wenigstens versuchen wollte. Ich fand glücklicherweise relativ schnell eine gute Psychotherapeutin in meiner Nähe und konnte unsere Sitzungen schon nach kurzer Zeit genießen, denn endlich war da jemand, der mir zuhörte und meine Probleme nicht als Banalitäten abstempelte.
Ich kann bis heute nicht sagen, wie genau die Therapie gewirkt hat, aber nach vielen Gesprächen, vielem Graben in der Vergangenheit, vielem Überprüfen von Ängsten auf ihren Realitätsgehalt hin kam der Tag, an dem ich die Therapie nicht mehr brauchte. Es ging mir besser, meine Angst vor Menschen und dem Rausgehen war wie weggeblasen (→ Wie ich lernte, dick und selbstbewusst zu sein).
Hinter meiner Angst, vor die Tür zu gehen oder die Freunde meines damaligen Freundes kennenzulernen, stand mein armseliger Umgang mit mir selbst. Statt mich selbst wie eine Freundin zu behandeln und mir den nötigen Peptalk vor schwierigen Aufgaben zu geben, habe ich mich schlecht geredet, habe ich mir selbst immer wieder gesagt, wie wertlos und hässlich ich sei.
Zufriedenheit hat nichts mit Gewicht zu tun
Über die Jahre hat sich mein Selbst verändert. Einiges ist auf natürliche Veränderungen zurückzuführen, die eben passieren, wenn man älter und – hoffentlich – weiser wird. Aber vieles war harte Arbeit, ein Gegen-den-Strom-Schwimmen, ein Sich-behaupten-müssen gegenüber anderen und gegenüber sich selbst (→ Wie Body Positivity mein Leben verändert hat).
Eine wichtige Lektion, die ich dabei gelernt habe, war, dass mein Körpergewicht mit meiner Zufriedenheit mit mir selbst rein gar nichts zu tun hatte. Zufriedenheit und Glück entstehen im Kopf. Wenn man den nicht darauf gepolt hat, zufrieden und glücklich sein zu können, dann wird man es auch nicht sein, wenn man sein sogenanntes Wunschgewicht oder sonst ein Ziel erreicht.
Ein anderes Aha-Erlebnis war, dass ich nur ein gesundes Leben führen konnte, wenn es mir gut ging. Denn nur wenn ich mich selbst schätze und auch meine mentale Gesundheit in der Vordergrund rücke, kümmere ich mich wirklich um meine Gesundheit (→ Warum Body Positivity nichts mit Gesundheit zu tun hat). An diesem Punkt begann eigentlich schon, was zehn Jahre später einmal zu Marshmallow Mädchen werden sollte.
Isch ´abe gar kein Kleid
Wenn man sich innerlich verändert, dann will das Äußere irgendwann nachziehen. Ich fühlte mich zunehmend selbstbewusster, musste allerdings immer noch in diesen Sackklamotten, diesen langweiligen schwarz-grauen Sachen rumlaufen, die so gar nicht zu meinem farbenfrohen Inneren passten. Aber ehrlich gesagt wusste ich nicht, wie ich das ändern sollte, noch war mir bewusst, dass es überhaupt andere Kleidung für große Größen gab.
Der Punkt, an dem die Situation kippte, war im schneeigen Frühjahr 2013. Eine Bekannte von mir hatte zu dieser Zeit begonnen, sich als Fotografin auszuprobieren. Und ich war selbstbewusst genug geworden, um Model für sie zu spielen (→ Mehr Selbstbewusstsein durch Fotos). Ich hatte richtig Lust auf schöne Bilder von mir. Als wir Outfits für das Shooting suchten, passierte es:
Sie sagte: Zieh doch ein Kleid an. Und ich erwiderte: Ich habe gar kein Kleid. Und sie sagte: Wieso nicht?
Ja, wieso eigentlich nicht? Diese Frage geisterte einige Monate in meinem Kopf herum. Wieso besitze ich kein Kleid? Weil ich keine Anlässe habe, zu denen ich Kleider tragen könnte? Weil Oberschenkel unter Kleidern reiben? (→ Die ultimativen Hilfsmittel gegen aneinanderreibende Oberschenkel) Weil Kleider tendenziell sexy sind und Dicke nicht sexy sein dürfen? (→ Warum wir das Schönheitsideal überwinden müssen)
Alle drei Argumente ließen sich entkräften. Es waren einfach nur alte Glaubenssätze, die ich mit mir rumgeschleppt hatte (→ Body-positiv leben: Negative Glaubenssätze erkennen und auflösen).
Was kann eine dicke Frau tragen?
Der erste zaghafte Versuch hin zum Kleid gelang mit einem Oversized-Pullover. Den Pullover trug ich über einer Hose, weil ich mich so ganz ohne noch nicht traute. Weiter Pulli mit weiter Hose war nicht der ideale Schnitt für meine Figur, aber es war ein Anfang. Alles im Leben ist ein Prozess (→ Body Positivity lernen: Body-positiv in 3 Schritten).
Ich entdeckte nach und nach Plus-Size-Fashion-Blogger, die zeigten, was eine dicke Frau so alles tragen kann – nämlich alles. Ich entdeckte Online-Shops, bei denen es wie selbstverständlich allerhand Klamotten in meiner Größe gab.
Neuen Stil finden: auf Figur geschnittene Kleider, kurze Röcke, wilde Muster, ärmellose Tops
Bei Online-Shops bestellte ich über Monate hinweg riesige Mengen an Kleidung. Nicht weil ich alles davon behalten wollte, sondern um herauszufinden, was zu meiner Figur passte. So machte ich es mir zur Aufgabe, auch immer Kleidung zu bestellen, die ich mich so nicht anzuziehen getraut hätte. Auf Figur geschnittene Kleider, kurze Röcke, wilde Muster, ärmellose Tops. Es ist erstaunlich, was einem so alles steht, wenn man den Blick auf sich selbst verändert.
Zuhause hatte ich Zeit, alles in Ruhe anzuprobieren, Kleidungsstücke zu kombinieren, Dinge wieder aus- und dann noch einmal anzuziehen. Ich achtete immer darauf, Klamotten nur an Tagen zu bewerten, an denen es mir gut ging. Denn wenn es einem schlecht geht, findet man grundsätzlich alles scheiße.
Ich bin mein eigener Standard
Auch habe ich Bekleidung nicht an den Models im Katalog gemessen, sondern an mir, meinem eigenen Standard (→ Sei dein eigener Standard). Wie sieht das Kleidungsstück an mir aus, nicht am Model? Fühle ich mich darin wohl? Gefällt es mir?
Die nächste Aufgabe war kniffliger: All die Kleidungsstücke musste ich ja auch in der Öffentlichkeit tragen. Das fiel mir überraschenderweise leichter, als gedacht, denn wenn ich vor dem Spiegel entschieden hatte, dass ein Outfit mir stand, dann stimmte das ja auch draußen auf der Straße.
Und es hat kein Mensch geguckt. Die meisten Menschen interessieren sich nämlich nicht für andere Menschen. Sie wissen nicht, dass man sonst nie Kleider, hohe Schuhe oder rote Haare getragen hat. Deshalb bewerten sie auch die Veränderung nicht, weil sie schlichtweg keine Veränderung sehen. Nur eine Frau im Kleid. Und das ist nun wirklich keine Schlagzeile wert.
Der neue Kleiderschrank
Im Laufe von zwei Jahren hatte ich meinen kompletten Kleiderschrank erneuert. Es gab dort wirklich nichts mehr, was vor Sommer 2013 schon dagewesen wäre. Ich trage so gut wie keine Hosen mehr, weil ich rausgefunden habe, dass Kleider und Röcke mir viel besser stehen und dazu auch noch viel bequemer sind. Ich habe viel Bauch und der wurde durch einschneidende Hosenbünde nur noch betont. Jetzt kann ich das Augenmerk auf andere Stellen an meinem Körper lenken, die mir lieber sind (→ 10 Tipps, wie du deine Vorzüge betonen kannst).
Als mehrgewichtige Frau habe ich den Spaß an Mode entdeckt. Mode ist toll, Mode ist ein Ausdruck unseres Selbst. Es gibt mehr und mehr Marken, die ihre Kleidung auch in größeren Größen herstellen. (→ 5 Tipps, wie du zur Plus-Size-Fashionista wirst)
Das Leben ist zu kurz, um keine Kleider zu tragen
Ich verlange von dir natürlich nicht, eine Fashionista zu werden. Vielleicht ödet dich Mode total an – und das ist vollkommen in Ordnung. Aber die Geschichte zeigt, dass wir nicht auf schlanke Zeiten warten müssen, um etwas zu verändern und uns in unserer Haut wohler zu fühlen (→ Warte nicht auf schlanke Zeiten).
Das Leben ist zur kurz, um keine Kleider zu tragen (wenn man es möchte), um nicht schwimmen zu gehen (wenn man es möchte), um sich nicht zu verändern (wenn man es möchte). Je besser du dich fühlst, desto liebevoller kannst du zu dir sein und je liebevoller du zu dir bist, desto besser fühlst du dich. Mit ein wenig Mut – mit einem Kleid – kannst du also einen positiven Kreislauf anstoßen, der dein ganzes Leben, dein ganzes Selbstbild verändern kann.
Titelfoto: Snapwire Snaps / Chelsea Francis