Nicht nur ein Problem übergewichtiger Menschen, aber dort besonders ausgeprägt: das Gefühl, auf Fotos immer schrecklich auszusehen. Aber zeigen Fotos tatsächlich, wie du aussiehst? Oder zeigen sie dir nur, wie du dich selbst siehst? Marshmallow Mädchen präsentiert dir Gedankenansätze, mit denen du lernen kannst, Fotos von dir nicht mehr schrecklich zu finden.
Du bekommst Fotos zu Gesicht von einer Party oder einem Ausflug. Eigentlich schöne Erinnerungen, aber die sind wie weggeblasen, als du siehst, wie furchtbar du auf den Bildern aussiehst. Doppelkinn, Speckrollen, der Bauch steht vor, die Haare ab. Und du denkst: Oh Gott, sehe ich immer so aus? Wie kann ich so nur vor die Tür gehen und anderen meinen Anblick zumuten?
Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung
Ja, andere Menschen sehen dich wirklich so, wie du auf Fotos aussiehst – aber nicht so, wie du dich selbst auf Fotos siehst. Der Unterschied besteht darin, dass sie dich immer so sehen und dein Anblick für sie deshalb vollkommen normal ist. Darüber hinaus picken sie sich nicht einzelne Körperstellen heraus, um über sie zu urteilen, sondern sehen dich als Gesamtpaket.
Dein Blick hingegen wandert auf Fotos automatisch zu deinen vermeintlichen „Problemzonen“, also zu Bereichen an deinem Körper, deretwegen du unsicher bist. Wie ein Laserpointer schießt du dich auf dein Doppelkinn, deinen dicken Bauch, deine strammen Waden, deine Falten oder Speckrollen ein (das ist übrigens auch → Body Shaming). Es fällt dir schwer, dich im Gesamten zu sehen.
Das liegt auch daran, dass du dich selbst selten in solchen Alltagssituationen wie auf Fotos beobachten kannst. Du siehst dich meist nur von vorne in einem Spiegel und das auch nur, wenn zufällig gerade einer da ist. Der ungewohnte Blick auf dich selbst – von hinten, von der Seite, sitzend, essend, redend, lachend – weicht von dem ab, was dir der Spiegel zeigen kann und was du als deine Außenwirkung wahrnimmst.
Fotos sind Momentaufnahmen
Es gibt Fotos, die „schrecklich“ aussehen – weil sie dich in einem ungünstigen Moment erwischen, etwa wenn deine Augen halb geschlossen sind oder dein Mund weit offen steht. Siehst du deshalb immer so aus? Nein, denn Fotos sind Momentaufnahmen.
Du bist nicht die Person auf dem Foto, aber die Person auf dem Foto ist ein kleiner Teil von dir. Im alltäglichen Leben ist der Lidschluss ein Moment (den du im Übrigen selbst nie beobachten kannst, weil deine Augen eben geschlossen sind) und dein Mund öffnet und schließt sich in Augenblicken. Ein Foto fängt diesen einen Moment ein und macht aus ihm scheinbar eine Ewigkeit.
Aber diese Ewigkeit ist eine Illusion und vor allem ist sie nicht absolut. Ein Foto zeigt einen Moment von dir, aber es zeigt dich nicht in all deinem Facettenreichtum. Fotos lügen, weil sie eindimensional sind.
Den Blick verändern
Mit diesem Wissen im Hinterkopf kannst du lernen, deinen Blick auf Bilder von dir zu verändern. Was sind Fotos denn wirklich?
Sie sind Erinnerungen. Oder besser: Erinnerungsstützten. Die Erinnerungen leben in deinem Kopf; die Fotos helfen, diese Erinnerungen lebendig zu halten. Und was haben wir vom Leben denn anderes als unsere Erinnerungen? Irgendwann werden anderen von dir nur noch Fotos bleiben (→ Warte nicht auf schlanke Zeiten). Niemand schaut sich Fotos von Oma an, um sie zu body-shamen. Wir schauen uns Fotos von Oma an, um uns an diesen Menschen zu erinnern.
Statt dich also auf dein Doppelkinn einzuschießen, schärfe deinen Blick für die Erinnerung, die auf dem Foto festgehalten wurde. Wie war das Gefühl in diesem Moment? Wie war es, mit den Menschen auf dem Foto zusammenzusein? Ist es nicht wunderschön, dass jemand diese Erinnerung in einem Bild festgehalten hat, aus einem Blickwinkel, den du sonst nie gesehen hättest?
Auf diese Weise kannst du auch den Blick auf dich selbst verändern. Statt deine Falten und dein Doppelkinn zu sehen, kannst du sehen, dass du lachst. Statt dich an einer „unvorteilhaften“ Pose festzubeißen, kannst du sehen, wie dich jemand im Arm hält. Wenn du dich entscheiden kannst, alles „Negative“ auf einem Foto zu sehen, dann kannst du dich auch entscheiden, alles Positive darauf zu finden (→ Sei lieb zu dir!).
Warum ich mich auf Fotos nicht mehr schrecklich finde
Das klingt natürlich einfacher, als es tatsächlich ist. Aber der wohlwollende und sogar freudige Blick auf Fotos ist möglich. Dafür musst du nicht deinen Körper verändern, sondern deine Einstellung (→ Ich will nicht abnehmen).
Früher habe ich auch jedes Foto von mir gehasst. Ich konnte einfach nur sehen, wie schrecklich ich aussah, weil ich mich schrecklich fand. Heute bin ich von Fotos meist positiv überrascht, auch von Schnappschüssen (→ Fotos von Marshmallow Mädchen). Ich habe einen anderen Blick auf mich. In Zeiten, in denen ich meinen Körper nicht mochte, habe ich stets sofort auf meine „Problemzonen“ geschaut und auch ausschließlich die sehen können. Sie haben alles andere überlagert. Heute sehe ich das „Gefühl“ auf dem Foto – und das überlagert etwaige „unvorteilhafte“ Aufnahmewinkel.
Darüber hinaus habe ich gelernt, mich und meinen Körper mit einem positiven – oder zumindest einem neutralen – Blick zu betrachten. All das, was ich auf einem Bild sehe, gehört zu mir – und das ist absolut okay. Selbst Fotos, die ich früher schrecklich fand, sind heute schöne Erinnerungen (→ mein früheres Horror-Foto).
Manchmal braucht es etwas Abstand, um den wahren Wert eines Bildes zu erkennen. Wenn dich dein eigener Anblick auf einem Foto niederschmettert, dann leg dieses Bild zur Seite. Du bist nicht gezwungen, es dir anzuschauen oder es schön zu finden. Aber mit der Zeit gewinnt die Erinnerung womöglich Überhand und du kannst die Gefühle, die auf diesem Foto festgehalten sind, genießen (→ Wenn du deinen Körper nicht lieben kannst).
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Titelfoto: Gratisography
Beitragsbild: Body Liberation Photos