Die Auseinandersetzung mit Körper, Schönheit und Body Positivity ist immer eine Gratwanderung, was die Begrifflichkeiten angeht. Was ist normal, was schlank oder dick? Wenn ich mich als dick bezeichne, bedeutet das, dass ich gleichzeitig auch hässlich und faul bin? Viel zu oft verliert sich das eigentliche Thema in einer Diskussion über Terminologien und subjektive Auffassungen, in Beleidigungen und verletzten Gefühlen. Doch dick ist kein Schimpfwort.
Dick ist ein Adjektiv, eine Zustandsbeschreibung. Problematisch daran ist, dass der Zustand sehr subjektiv eingeschätzt werden kann und wird. Die Messlatte für dick als beschreibendes Wort von Körpern ist stetig nach unten gewandert. Aber allein dadurch wird dick noch nicht zu einem Schimpfwort.
Was dick zu einem Schimpfwort macht, ist unsere Einstellung zum Dicksein. Wir neigen dazu, in schwarz-weißen Schubladen zu denken und alles in „gut“ und „schlecht“ einteilen zu wollen (→ Schubladendenken – Warum denken wir in Schubladen?). Schlank ist zu einem „guten“ Wort geworden. Man assoziiert damit andere Adjektive wie schön, diszipliniert, erfolgreich etc. Dick gehört zu den „schlechten“ Wörtern. Alles, was dick ist, ist unattraktiv, ungepflegt, undiszipliniert, ungesund und noch eine Menge anderer Un-s (→ Fat Shaming: Hau ab, du fette Sau!).
Was ist dick?
Man kann dick und dünn nicht objektiv beschreiben, da sie immer nur im Verhältnis zu etwas dick oder dünn sind. Wenn man das auf Körper anlegt, könnte man als Maßstab zum Beispiel ein Standardmodel nehmen. Models sind schlank. Alles, was darüber liegt, ist also dick. Aber dieser Maßstab ist willkürlich, Normalität ist willkürlich und lässt sich höchstens aus einem Durchschnitt herleiten.
Durchschnitte wiederum sind kleine Statistikmonster. Wenn man einen Durchschnittswert errechnet, dann kann es durchaus passieren, dass kein Element der zugrundeliegenden Population diesen Wert hat. Der Durchschnitt aus 10 und 4 beispielsweise ist 7, obwohl weder 10 noch 4 den Wert 7 haben. Trotzdem würden wir den Durchschnitt also als „normal“ definieren und damit gleichzeitig alle Populationselemente als abnormal kennzeichnen. So ein Extrem kommt selten vor, allerdings zeigt es, dass der Durchschnitt nicht immer die Mehrheit ist und die Wirklichkeit weit weg von der statistischen Norm liegen kann.
Dick ist keine Beleidigung
Wenn ich meinen eigenen, sehr subjektiven Maßstab heranziehe, also von dem ausgehe, was für mich richtig erscheint, dann würde das ungefähr so aussehen: Größe 32 bis 36 sind sehr schlank, Größe 38 bis 44 sind schlank/normal, Größe 46 bis Open End sind dick. Die Grenzen sind dabei natürlich fließend. Nicht alle Frauen, die Größe 48 tragen, sehen gleich dick oder dünn aus.
Das Problem an meine individuellen Definition von dick und dünn ist, dass sich jetzt vermutlich jemand beleidigt oder falsch eingeschätzt fühlt. Die Frau mit 38 findet sich sehr schlank, die mit 42 hält sich für unglaublich fett und die mit 46 – wie kann ich die nur dick nennen? Genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Wir bewerten – alles und ständig. Wenn das Wort dick für dich mit lauter negativen Assoziationen besetzt ist und ich dich dick nenne, dann wirst du davon ausgehen, dass ich dich negativ betrachte, auch wenn ich nur eine Zustandsbeschreibung deines Körpers ohne Bewertung deiner Persönlichkeit vorgenommen habe.
Das Konzept der Body Positivity hat mich gelert, Worte wie dick und dünn wertfrei zu nutzen (→ Was ist Body Positivity?). Ich bin dick, aber das heißt nicht, dass ich gleichzeitig und automatisch all die oben aufgezählten Un-s bin (→ Wie Body Positivity mein Leben verändert hat). Ein anderer Körper, der nicht dick ist, sollte auch nicht so bezeichnet werden. Wo aber genau die Grenze liegt, das ist schwer – wenn nicht unmöglich – festzulegen, weil das Verständnis von Wörtern von Mensch zu Mensch variiert.
Wo hört schlank auf, wo fängt Plus Size an?
Dasselbe gilt für Begriffe wie fett, kurvig (curvy) oder Plus Size. Für die einen ist Plus Size eine höfliche Umschreibung von Fettleibigkeit (negativ konnotiert), für die anderen ein Wort der persönlichen Selbstermächtigung (positiv konnotiert): Ich bin anders und das ist gut so. Die einen regen sich darüber auf, dass Plus-Size-Models wie Ashley Graham [Link zu Instagram] durch den Terminus als dick bezeichnet werden, was sie nach deren Meinung nicht sind. Die anderen finden nicht, dass Beth Ditto [Link zu Instagram] Plus Size ist, sondern einfach nur fett (negativ konnotiert) (→ Was ist Plus Size?).
Und so wird sich auch Marshmallow Mädchen in dieser Grauzone zwischen Subjektivität und Beleidigung bewegen (müssen). Unabhängig von Bezeichnungen ist dein Körper ist mit deinem Körper nichts falsch. Er ist gut so, wie er ist. Wir können darüber diskutieren, ob eine Frau mit Größe 44 nun als schlank, normal, dick oder fett bezeichnet werden sollte – aber es wird nichts bringen. Denn das ist letztlich nicht die Frage, die hinter dick als Beleidigung steht. Die Problematik ist, dass in unserer Gesellschaft der kollektive Glaubenssatz existiert, man könne vom Aussehen einer Person auf deren Persönlichkeit oder gar ihren Wert als Mensch schließen (→ Was ist Body Shaming?).
Dick ist kein Schimpfwort für dicke Frauen
Ist dick also ein Schimpfwort? Jein.
Bei Marshmallow Mädchen sicherlich nicht. Frauen, die sich selbstbewusst als dick bezeichnen, tun dies, weil sie mit diesem Wort ihre Körperform umschreiben (→ Selbstbewusst trotz Übergewicht? Das geht!). Nicht mehr und nicht weniger.
Aber auch „Prinzessin“, „Genussmensch“ oder „Gutmensch“ können als Schimpfworte benutzt werden. Die Wahrheit liegt in der Intention des Menschen, der das Wort benutzt. Es wird Menschen geben, die dich beleidigen wollen, indem sie dich dick nennen. Wenn du dieses Wort ebenfalls negativ besetzt hast, wird die Beleidigung dich treffen. Ist dick für dich jedoch lediglich eine wertneutrale Beschreibung deiner Körperform, kann es dir gegenüber nicht mehr als Schimpfwort genutzt werden (→ Fat Shaming: Wie man mit Beleidigungen umgeht).
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Titelfoto: Daria Volkova on Unsplash
Beitragsbild: Body Liberation Photos
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